Stolz & Vorurteil – Kongress zu Identitätskonzepten und deren Fragwürdigkeit

Wann
Samstag - 07.12.2019
Ganztägig

Wo
Münchner Gewerkschaftshaus
Schwanthalerstraße 64
80336 München

Details

10.30–12.00 Uhr: Das emanzipatorische Potenzial des Universalismus: Warum Gleiche ungleich sind und Menschenrechte universelle Gültigkeit beanspruchen. Die politischen Kämpfe um individuelle Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe scheinen zugunsten wieder erstarkender Homogenitätszwänge kaum mehr Gehör zu finden und die Frage bleibt: welche normativen Grundsätze versprechen eine gesamtgesellschaftliche Emanzipation, wenn nicht die des menschenrechtlichen Universalismus? Können dessen Potenziale noch gerettet werden vor partikularen Wertvorstellungen, autoritären Machtinteressen und kulturrelativistischen Motiven? Und wie stehen kritische Gesellschaftstheorien selbst zum Anspruch universell geltender Rechte? Eine kritische Reflexion. Dr. Imke Leicht, Politikwissenschaftlerin, Erlangen

12.15–13.45 Uhr: Erinnern, Gewalt und Identität. Ein kritischer Blick auf den Zusammenhang zwischen der deutschen Gewaltgeschichte, deren Aufarbeitung und heutigem Rassismus und Antisemitismus. Migrant*innen sind nicht nur Hauptziel rassistischer Gewalt, sondern auch mit der Geschichte dieses Landes konfrontiert. Ein Gespräch über postmigrantische und postnazistische Identitätskonstrukte. Doğan Akhanlı, Schriftsteller, Köln; Moderation: Cornelia Fiedler, Journalistin

14.30–16.00 Uhr (drei parallele Panels):

Es liegt ein Grauschleier über der Stadt – eine Diskussion über die Frage, wie man dem gesellschaftlichen Rückschritt Paroli bieten kann. De facto verteidigen Teile von Feministinnen und Multikulturalisten die Ausprägungen des Islam, wie sie im Iran, Afghanistan oder Saudi-Arabien tägliche Realität sind, sagt Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und Begründerin des Komitees gegen Steinigung. Mit der Überzeugung, der Islam sei ein Kernbestand kultureller Identität der Marginalisierten und Ausgegrenzten lässt sich gut jede Kritik am Islam mit dem Vorwurf der Islamophobie verknüpfen. Die muslimische Journalistin Sineb El Masrar beschreibt Islamophobie als Kampfbegriff iranischer Islamisten, welche gezielt die Kritik an islamischen Praktiken in eine Beleidigung aller MuslimInnen ummünzen und damit die Kritik zumindest in die Nähe zum Rassismus rücken. Das heißt natürlich nicht, dass der Begriff des antimuslimischen Rassismus nicht sinnvoll ist. Der Islam wird zum großen Gegenspieler des heimischen Abendlandes halluziniert, überrannt von den fremden Sitten und Gebräuchen, die den muslimischen Zuwanderern unabänderlich zu eigen wären. Am offensivsten von Pegida, der AfD und den AnzünderInnen von Flüchtlingsheimen. Der Rassismus argumentiert also nicht mehr nur biologistisch, sondern auch er hat einen „cultural turn“ vollzogen. Mina Ahadi, Publizistin, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Köln; Sineb El Masrar, Autorin und Journalistin, Hannover (angefragt); Moderation: Ellen Diehl, Friedrich-Ebert-Stiftung

„Australien den Australiern“? Zur Verwechslung von Klasse und Nation. Seit wann interessiert sich die Linke für „das Volk“? 1896 verständigte sich die Zweite Internationale in London auf das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, die Bolschewiki erweiterten den berühmten Aufruf aus dem Kommunistischen Manifest in den 1920er Jahren zu: „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!“ Bis heute sorgen sich antiimperialistische Linke um die „Freiheit“ von „Nationen“ mehr als um die Befreiung von Menschen. Das trifft sich, woran aktuelle Debatten wie um Didier Eribons Rückkehr nach Reims erinnern, mit der Feststellung, dass das Proletariat selbst nicht unbedingt nach links tendiert, sondern so nationalistisch, sexistisch und antisemitisch eingestellt sein kann wie andere Klassen. Bemerkenswerterweise hat keine Geringere als Rosa Luxemburg bereits vor dem Ersten Weltkrieg der romantischen Verklärung der „’nationalen‘ Befreiung“ widersprochen. Dr. Olaf Kistenmacher, Historiker, Journalist, Hamburg

Kalkül & Kollektiv. Zur Metapolitik (neu-)rechter Identitätskonzepte. Im Zentrum rechter Identitätskonzepte steht die Erfahrung, dass moderne Identitäten kontingent und erst durch soziale Praxis konstruiert sind. Deshalb sind die affirmative Erzeugung, rituelle Stabilisierung und institutionelle Reproduktion von Identitäten das wichtigste Ziel rechter Metapolitik. Welches Gesellschafts- und Menschenbild dem zugrunde liegt, soll durch eine Darstellung rechter Identitätskonzepte seit der Französischen Revolution gezeigt werden. Felix Schilk, Soziologe, Dresden

16.30–18.00 Uhr (drei parallele Panels):

Die Wiederentdeckung der Klasse als Ausdruck linksidentitärer Sehnsucht. Klassenkampf-Nostalgie bedient identitäre Sehnsüchte, nutzt aber keinem der notwendigen sozialen Kämpfe. Angesagt ist ein neues Projekt der Vergesellschaftung, das sich vom Prinzip der „Finanzierbarkeit“ unseres Lebens verabschiedet. Lothar Galow-Bergemann, Publizist, Stuttgart; Ernst Lohoff, Publizist, Nürnberg

Problematisch! – Zur Fragwüdigkeit von Identitäts- und Anti-Identitätsaktivismus. Ein Vortrag über das Lagerdenken, queeren und linken Opportunismus, Rassismusvorwürfe, Marketing queerer Copy-and-Paste-Aktivist_innen und das Kippen der Kritik ins Ressentiment. Dr. Patsy l’Amour laLove, Polittunte und Geschlechterforscherin aus Berlin

Space is the Place. Afroamerikanische Popkultur zwischen Wurzeln und Weltall. Ausgehend von Billie Holidays „Strange Fruit“ soll die afro-amerikanische Musikgeschichte zwischen Wurzeln und Weltall, Stammbäumen und Raumschiffen anhand zentraler Musikbeispiele rekonstruiert und die Frage diskutiert werden, warum die afrofuturistischen Raumschiffe heute wieder zunehmend vom Wurzeldenken verdrängt werden. Dr. Jonas Engelmann, Publizist und freier Journalist, Mainz

18.15–19.45 Uhr (drei parallele Panels):

Fremdenhass und identitärer Wahn greifen in Europa um sich, die EU steht unter Beschuss wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Auch immer mehr Linke predigen die Rückkehr zu Volk und Nation. Europa hat die Herzen nie so erwärmt wie die Nation, aber einen solchen Aufschwung von rechten, antieuropäischen Stimmungen gab es seit 1945 nicht. Und das in einer Epoche, in der die EU von außen und innen erschüttert wird. Demokratien und weltwirtschaftliche Regeln erodieren, in Europa tobt der Konflikt zwischen kapitalistischer Moderne und regressivem Bewusstsein, das sich im reaktionären Sinn antikapitalistisch verhält. Rainer Trampert, Publizist, Hamburg

Deutscher Antisemitismus in der postmigrantischen Gesellschaft. In der doppelten Verharmlosung des alt- wie des neudeutschen Antisemitismus zeigt sich vor allem eines: Deutschland tut sich schwer, die Realitäten der Migrationsgesellschaft anzuerkennen. Über ein Fünftel der hier Lebenden hat mindestens ein eingewandertes Elternteil, und mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat eine Person mit Migrationserfahrung im erweiterten Familienkreis. Die Zurschaustellung des offenen Judenhasses ist damit weniger der Verweis auf eine Parallelgesellschaft, als vielmehr Ausdruck des Versagens der Mehrheitsgesellschaft, sich neu zu begreifen. Dr. Sina Arnold, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität, Berlin

Warum wir Linke über den Islam nicht reden können. Wie kommt es, dass wir die Ablehnung des Islam als „rassistisch“ empfinden, nicht aber die Ablehnung des Christentums? Warum wurden die Demonstranten des arabischen Frühlings in erster Linie als „Muslime“ wahrgenommen, die Gelbwesten in Frankreich aber nicht als „Christen“? Warum reden wir, wenn wir vorgeben über den Islam zu reden, über alles mögliche andere nur nicht über den Islam? Und: Was hat unser (Nicht-)Reden über den Islam mit unserer eigenen Beziehung zur Religion zu tun? Dr. Sama Maani, Schriftsteller, Psychoanalytiker, Wien

20.00–21.30 Uhr: Haltung oder Herkunft: Podiumsdiskussion zur Sinnhaftigkeit oder Problematik gemeinschaftlicher Verortungen und Identitätsvorstellungen. Sind identitäre Zuschreibungen hilfreich oder hinderlich bei gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen? Ist ein kollektives „Wir“ unverzichtbar im Kampf um Anerkennung, Rechte und Wirkmächtigkeit? Läuft Identitätspolitik notwendigerweise Gefahr, unterdrückerische Verhältnisse kulturrelativistisch zu affirmieren? Lassen sich kollektive Fremdzuschreibungen und die damit verbundenen Ausgrenzungserfahrungen umdrehen und emanzipatorisch wenden?

Moderation: Dr. Sebastian Voigt, Institut für Zeitgeschichte, München

Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Soziologie und Gender Studies am Institut für Soziologie der LMU München

Dr. Sama Maani, Schriftsteller, Psychoanalytiker, Wien

Dr. Max Czollek: Autor, Berlin

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