Kein Schlussstrich! Kein VS!

Wann
Mittwoch - 27.09.2017
18:00 Uhr

Wo
Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
Knorrstraße 139
München

Details

Kundgebung: 27. September – 18 Uhr – Knorrstr. 139 (U-Bahn Am Hart)

Von 1999 bis 2011 ermordete der „Nationalsozialistische Untergrund“ zehn Menschen, beging drei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle. In der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex wirft ein Aspekt besonders viele Fragen auf: Die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dabei gilt es zu betonen, dass das genaue Ausmaß dieser Verstrickungen und des Wissens über die Machenschaften des NSU bis heute unklar ist. Nach der Selbstenttarnung des NSU geriet der Verfassungsschutz (VS) massiv in die Kritik. Nachdem erste Erkenntnisse über seine Verstrickungen mit dem NSU-Netzwerk ans Licht kamen, wurde bis in bürgerliche Medien hinein seine Abschaffung gefordert. Davon ist mittlerweile nicht mehr viel übrig. Zwar mussten zu Beginn einige führende Mitarbeiter des VS wie der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, ihren Hut nehmen, doch weitreichende Konsequenzen musste der VS nicht befürchten. Ganz im Gegenteil – aus den Debatten der letzten Jahre ging der deutsche Inlandsgeheimdienst gestärkt hervor und konnte seine Legitimation und seine Befugnisse vor dem Hintergrund der wachsenden Gefahr von islamistischem Terror sogar noch ausweiten.
Seit dem Auffliegen des NSU sträubte sich der Verfassungsschutz immer wieder erfolgreich gegen die Offenlegung von Akten und versuchte alles,
um Aufklärung zu verhindern und Erkenntnisse zum NSU geheimzuhalten. Ein paar Beispiele für die Aufklärungsverweigerung der Verfassungsschutzbehörden, welche nur die Spitze des Eisbergs bilden, sind unter anderem ein interner Bericht über den hessischen VS und mögliche Hinweise zum NSU, der bis 2134 geheim gehalten wird oder der Fall Lothar Lingen. Dabei wurden im Thüringer VS auf Anordnung des Verfassungsschützers Lothar Lingen von November 2011 – also nach dem Auffliegen des NSU – bis Mai 2012 zahlreiche Akten geschreddert, die mit dem NSU-Komplex zu tun hatten. Nachdem der VS jahrelang behauptete, dass es sich um ein Versehen gehandelt habe, kam 2015 heraus, dass dies vorsätzlich geschah.

2006 ist der Verfassungsschützer Andreas Temme beim Mord in Kassel am Tatort anwesend. Als Zeuge vor Gericht und vor dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss behauptete Temme, er hätte sich zur Tatzeit des Mordes an Halit Yozgat nur zufällig in dessen Internetcafe aufgehalten. Weder hätte er jedoch die tödlichen Schüsse gehört, noch hätte er beim Verlassen des Ladens den am Boden liegenden Leichnam gesehen. Ein Gutachten durch „forensic architecture“ beweist das Gegenteil.

Das NSU–Kerntrio entstammte dem Thüringer Heimatschutz, einer Gruppierung, an dessen Spitze mit Tino Brandt eine der wichtigsten V-Personen des Thüringer VS stand. Im Umfeld des NSU-Kerntrios gab es im Laufe der Zeit über 40 V-Personen. Diese berichteten zwar nicht alle über den NSU, aber es zeigt, wie sehr die Neonaziszene zur der Zeit von V-Personen durchsetzt war. Bereits Ende der 90er Jahre warnte man intern vor rechtsterroristischen Zellen und wusste Bescheid über die in der Naziszene verbreiteten Terrorkonzepte wie „leaderless resistance“. Auch das Trio wurde intern zu derartigen Zellen gezählt und tauchte mehrmals in Berichten über gewaltbereite Neonazi-Gruppen auf. Dabei wurde das Kerntrio bereits 1999 als rechtsterroristisch bezeichnet.
Die – zum Teil auch von Linken – immer wieder aufgegriffene Behauptung, der VS hätte im Fall NSU ‚versagt‘, ist also falsch und ignoriert jegliches Wissen über die Funktionsweise des Geheimdienstes. Dem VS mangelte es keineswegs an Informationen, die zur Verhinderung des rechten Terrors genützt hätten. Ein Interesse an der Verhinderung der Taten war schlicht nicht (ausreichend) gegeben. Viel wichtiger war der Behörde der Quellenschutz und die Geheimhaltung ihrer Methoden. Dieser Logik folgend hat der Verfassungsschutz alles richtig gemacht. Das Problem am Verfassungsschutz im Bezug auf den NSU ist also nicht sein vermeintliches Versagen, sondern seine ihm inhärente Funktionsweise. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als bedenklich, wenn gefordert wird, der VS solle doch bitte diese oder jene rechte Gruppierung beobachten. Als wären Neonazi-Gruppen nicht auch schon ohne finanzielle und anderweitige Unterstützung durch den deutschen Inlandsgeheimdienst gefährlich genug.

Es lohnt sich auch ein Blick auf die Geschichte der Behörde. 1950 auf Initiative der US-Army vor allem zur Überwachung der KPD gegründet, wurde der Verfassungsschutz mit zahlreichen ehemaligen Gestapo-Angehörigen und sonstigen Nazis besetzt. Dass sich Rechte in der Chefetage des VS nicht auf die Anfangszeit der Behörde beschränken, zeigt beispielsweise Helmut Roewer, welcher während das NSU-Kerntrio untertauchte, Präsident des thüringischen VS war. Dieser schreibt heute für rechte Zeitungen wie „Compact“ und „junge Freiheit“. Das Hauptziel der Behörde war und ist die Informationsbeschaffung. Dabei bleibt dem VS stets selbst überlassen zu entscheiden, wann Informationen zur Verhinderung von Straftaten weitergegeben werden und wann der Quellenschutz wichtiger ist. Vom ewigen Lieblingsthema Antikommunismus über das „Celler Loch“, bei dem eine versuchte Befreiung von RAF-Gefangenen durch die Sprengung einer Gefängnismauer vorgetäuscht werden sollte, bis zu unzähligen Anquatschversuchen durch den VS zeigt sich: Der Hauptfeind steht links und die Methoden bleiben besser geheim.

Ohne den tatsächlichen Umfang der Verstrickungen des VS im NSU-Komplex zu kennen, lässt sich sicher feststellen, dass der Verfassungsschutz den NSU zumindest finanziell, sowie durch die gezielte Behinderung von Ermittlungen unterstützt und die Morde und den Terror damit zumindest begünstigt hat. Um der Rolle des VS im NSU-Komplex Rechnung zu tragen, gegen rechten Terror zu protestieren und uns mit den Betroffenen zu solidarisieren, rufen wir zu einer Kundgebung vor dem bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz auf.

Kommt am 27.09. um 18 Uhr vor das VS-Gebäude in der Knorrstraße 139 (U-Bahn Am Hart).

Rechten Terror bekämpfen!
Verfassungsschutz abschaffen!
Kein Schlussstrich!

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